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Resilienz in Zeiten des Coronavirus (44)

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Was ist ein gutes Leben? Und was brauchen wir dazu?

Ganz herzlichen Dank für die vielen Rückmeldungen zur Klimadebatte. In den Medien zeigt sich, dass die Bewältigung der Corona-Krise als Modell für die demokratisch abgestützte Lösung der Klima-Krise betrachtet wird. Ich bin mir nicht sicher, ob das so einfach sein wird. Denn - wie wir aus der Resilienzforschung wissen - die bewährten Bewältigungsstrategien im einen Lebenskontext lassen sich selten telquel auf einen anderen Kontext übertragen. Und doch: wir machen im Moment wichtige Erfahrungen, von denen wir für die Zukunft lernen können.

Eine Segelkollegin schickt mir den Link zu Niko Paech. Ich erlaube mir, das Interview mit ihm etwas ausführlicher zusammenzufassen. Er hält den Rückbau der Globalisierung für nötig. Unser Wohlstand ist nicht das Resultat eigener Arbeit, sondern Ausdruck unserer Gier und Verantwortungslosigkeit. Die Corona-Krise könnte eine Chance sein, unser Konsumverhalten zu ändern. Es braucht unternehmerische und staatliche Investitionen, um das Einkommen und die Güterversorgung zu stabilisieren. Aber insgesamt ist eine Verringerung der Produktion und des Verkehrs nötig. Wir haben zu lange darauf vertraut, dass die Umweltprobleme durch technischen Fortschritt überwunden werden können. Das Gegenteil ist der Fall. Die angeblich sauberen Technologien haben manche Probleme noch verschärft. Unser Wohlstand beruht auf ökologischer Plünderung. Es braucht dringend eine Postwachstumsstrategie. Es ist offensichtlich, dass die Corona-Krise die gleichen Ursachen hat wie der Klimawandel, der Artenschwund und viele weitere von uns verursachte Krisen. Die Dinge sind offensichtlich ausser Kontrolle geraten. Es ist eine Schönwetterökonomie, die in guten Zeiten spottbillig die tollsten Wohlstandsartefakte ausspuckt, die aber jederzeit wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen kann. Wir befinden uns im Blindflug und produzieren Risiken über Risiken. Hoffentlich ist das für viele ein Anlass, über Alternativen zum angeblichen Wachstumszwang nachzudenken. Es ist höchste Zeit, einen massvollen Rückbau der Globalisierung und Technologisierung in Angriff zu nehmen. Wir können lange über Klimaziele debattieren – solange wir nicht bereit sind, uns mit einem CO2-Verbrauch von einer Tonne pro Person und Jahr zu begnügen, sind wir Ignoranten oder Heuchler. Unser heutiger Luxus steht uns nicht zu; wir haben ihn ertrickst, indem wir die Kosten und Schäden verschoben haben. 60 Prozent der Umweltschäden, welche die Schweizer verursachen, schlagen im Ausland zu Buche. Unsere Konsumgesellschaft muss sich beschränken. Die von mir in die Debatte eingebrachte Postwachstumsökonomie beruht auf mehreren Schritten:

    1. Erstens gilt es, Wohlstandsballast abzuwerfen. Das ist kein Verzicht, sondern eine Entlastung, weil wir die Zeitsouveränität zurückgewinnen und so den Stress überwinden.
    2. Zweitens müssen wir wieder mehr auf Eigenproduktion setzen, unsere handwerklichen Fähigkeiten zurückgewinnen, die Lebensdauer von Geräten durch Instandhaltung und Reparatur verlängern.
    3. Drittens braucht es wieder regionale Versorgungssysteme und einen Rückbau der globalisierten Industrie. Reparaturorganisationen wie das Schweizer Unternehmen Revendo, das seine Kunden mit Apple-Geräten versorgt, ohne ein einziges neues Produkt zu verkaufen, sind ermutigende Beispiele.

Es geht nicht um die Einschränkung der Lebensqualität. Ich führe ein sehr genussvolles Leben, schwelge in Literatur und Musik, spiele in zwei Bands und esse gern gut – seit den 1970er-Jahren vegetarisch. Es tut unheimlich gut, sich von Überfluss zu befreien und sich auf jene Dinge zu konzentrieren, die durch eigene handfeste Mitwirkung entstehen. Arbeit bedeutet ja ursprünglich das: miteinander etwas herzustellen. Wenn wir wieder mehr aufeinander angewiesen sind, wird unser soziales Kapital reichhaltiger, wir sind weniger einsam. Und die Dinge gewinnen für uns an Wert dadurch, dass wir ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken.

Niemand wird sagen können, er habe nicht gewusst, was er mit seinem Lebensstil anrichte. Und wir schaden damit ja nicht nur der Umwelt, sondern viel direkter uns selber. Erst wenn in der Zivilgesellschaft ein Aufstand der Handelnden stattfindet, kann die Politik ihre Angst vor einer Postwachstumsökonomie verlieren. Letztlich müssen wir uns alle die Frage stellen, wer wir einmal gewesen sein wollen: dressierte Affen, die auf den Glitzer des Konsums reingefallen sind und damit den Planeten ruiniert haben, oder aufgeklärte Menschen, die verantwortungsvoll mit ihrer Freiheit umgegangen sind.

 

Und Sie? Wofür entscheiden Sie sich und worauf sind Sie bereit zu verzichten, damit Sie das Ihnen Wichtige erreichen können? Schreiben Sie an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Bleiben Sie gesund und bleiben Sie verbunden. Ihre Regula Hug

 

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